Mittwoch, 17. Dezember 2014

Die Mittwochs - Manie


An einem Mittwochmorgen herrscht eine seltsam euphorische Stimmung. Ob es daran liegt, dass man Montag und Dienstag überlebt hat oder daran, dass nur noch Donnerstag und Freitag einen vom Wochenende trennen oder dass man doch noch soviel Zeit für seine Projekte hat und die Woche eben zum Glück noch nicht vorbei ist (Achtung: gilt meist nur für Workaholics), über den wahren Grund sind sich die Wissenschaftler noch uneinig.
Fakt ist: Mittwochs liegt eine Manie in der Luft, die in allen Lebensbereichen spürbar wird.
Mittwochs - und das ist nicht gelogen - sitzen Katze 1 & 3 immer schon eine halbe Stunde früher vor meinem Bett und miauen in einer Tonlage, dass ich mich frage, warum die Stadt noch keine Nuklearwarnung ausgesprochen hat. Anschließend wird die komplette Wohnung durchgebürstet, dass man denkt, jetzt drehen sie völlig am Rad

In der S-Bahn, die man mittwochs nehmen muss, sehen alle genauso aus, wie man sich um diese Uhrzeit fühlt. Es ist die Schüler-S-Bahn um 7;06 Uhr. Ergattere noch einen freien Platz am Fenster und will nochmal in Ruhe in mein Buch schauen, als eine kleine Gruppe einsteigender Bushido-Imitate schlagartig den IQ des Waggons um gute 20 Punkte fallen lässt.
Lärmend lassen sie sich im Mittelgang nieder und scheinen dort ihr Lager aufzuschlagen, denn binnen Minuten riecht es nach Bier, Döner und etwas Undefinierbarem, was wohl am nächsten Bahnsteig noch gegrillt wird.

Im Regionalexpress Richtung München schiebe ich mich an der Schlange älterer Menschen vorbei, die noch darüber diskutieren, mit welchem Fuß denn die unglaublich steile Treppe der Zugtür zu erklimmen wäre.
Auf den verärgerten Kommentar einer älteren Dame hin, ob man denn nicht mal in Ruhe einsteigen könne und warum es manche immer so eilig haben, antworte ich mit freundlichem Lächeln, dass ich beim Zuhören ihrer Diskussion und dem Warten auf ein Ergebnis regelrecht fühlen könne, wie ich altere und dass ich doch gern meinen Arbeitstag noch ohne Rollator und Rheumadecke bestreiten möchte.

Ich lasse mich auf einen freien Vierer fallen und stecke mein Handy an die Steckdose. Ich liebe Steckdosen. Hinter mir kommt Mond und lässt sich mir gegenüber in den freien Sitz fallen.
Zugfahrt ohne Handy, das ist heutzutage ja undenkbar.
Nicht etwa, weil die Jugend von heute ja ohnehin Schwierigkeiten hat ohne Handy zu existieren (ich frage mich, ob die Evolution da demnächst eine neue Richtung einschlagen wird und direkt am Ohr eine Halterung für Kopfhörer oder gleich für das ganze Telefon herauswachsen lässt. Wäre bestimmt ein interessanter Forschungsansatz.)
Nein.
Sondern weil diese Gespräche im Zug ohne Kopfhörer und laut aufgedrehter Musik nur sehr schwer bis garnicht zu ertragen sind.

Wenn man bedenkt, dass viele dieser Menschen in die Arbeit fahren und dort mit Sicherheit nur intelligente Sätze von sich geben, dann heißt das, dass sie vorher im Zug quasi die komplette Dummheit des ganzen Tages entleeren müssen. Oder vielleicht auch nur die Hälfte. Sie fahren ja am Abend wieder zurück. Egal, die Hälfte reicht schon aus.
All das, was sich an Dummheit so den Abend und die Nacht, manchmal sogar die ganze Woche über angestaut hat, müssen sie im Zug dann unbedingt noch loswerden.
Und in diesem Zug sitze ich.

Hinter mir sitzen zwei ältere Damen und unterhalten sich.
Wobei, kann man von Unterhaltung sprechen, wenn quasi nur eine Seite redet? Ist das ein Dauermonolog?
Die andere Dame kommentiert aber jeden Teil des Satzes mittels eines lauten "hm hm hm" oder eines immer wiederkehrenden "Jooooh, Joooooh", was wohl "Ja" bedeuten soll, sich allerdings anhört wie ein Esel, der auf der Weihnachtsfeier im Zoo dem Tierpfleger einen Eimer voll Eierlikörpralinen weggefressen hat.

Versuche, mich auf meine Musik zu konzentrieren. Doch trotz der Lautstärke höre ich den Esel noch immer. Sehe, wie langsam aber sicher alle Menschen um mich herum genervt mit den Augen rollen, Man versteht vor lauter "Jooooh, Joooooh" immer nur Bruchstücke des Satzes ihrer Gesprächspartnerin.
Der halbe Waggon versucht verzweifelt, die beiden zu übertönen.
Mond versucht indes krampfhaft, ihren Lachanfall zu verdrängen, der bei jedem neuen "Joooooooh" von vorn beginnt und ich muss aufpassen, dass sie nicht blau anläuft.
Sie schlägt vor, dass man ein Trinkspiel spielen könne. Man ließe einen Mitschnitt auf einer Party laufen und bei jedem "Jooooh" müsse man dann einen trinken.
Ich rechne das kurz hoch und komme zu dem Schluss, dass man am Ende der Zugfahrt, die ungefähr zwei Stunden dauert, ja dann klinisch tot sei.
Komasaufen in einer völlig neuen Dimension.

In München ist Endstation und wir steigen aus. Der Esel und die Eselfreundin ebenfalls.
Ich genieße das laute Gewusel des Bahnhofs. Es ist abwechslungsreich, ein Klangbrei und mir herzlich egal.

An der Straßenbahnhaltestelle trennen wir uns. Mond muss zur Arbeit. Ich nicht.
Ich gehe Blutspenden.
Warum? Weil es cool ist.
Weil es anderen hilft.
Ja, und weil man dafür Geld bekommt. Neben kostenlosen Getränken und Snacks.

Als ich in die S-Bahn steige, komme ich auf die tolle Idee, beim Krankenhaus anzurufen und zu fragen, ob ich denn bereits wieder dürfe, meine letzte Spende sei ja erst am 24 Oktober gewesen.
Die Rezeptionistin sagt, da müsse sie den Kollegen fragen.
Die S-Bahn-Türen schließen sich.
Die Rezeptionistin sagt:"Nein, erst am Freitag wieder. Einen Tag drüber ist okay, aber zwei Tage sind zuviel."
Die Bahn fährt an.
Ich steige an der nächsten Haltestelle wieder aus und laufe den Weg zurück zum Hauptbahnhof.

Als ich in die Haupthalle des Bahnhofsgebäudes komme, begegnen mir die drei Bushidos. Die Kapuzengang hat sich mit Kopfhöreren bewaffnet und stürmt auf den nach Nürnberg fahrenden Regionalexpress zu.
Als ich die Türschwelle emporsteige, höre ich eine Stimme vor der Zugtoilette:"Gell, Emmi, brauchst aber nimmer la-...." der Rest des Satzes wird von einem "Jooooh Jooooh" aus dem Inneren der Kabine unterbrochen.
Meine panikgeweiteten Augen treffen den Blick des ersten Bushidos unter seiner Kapuze. Unser beider Blick richtet sich ängstlich zur Toilettentür.

Und einmal mehr habe ich das Gefühl, nicht ganz allein zu sein.